Das Jüdische Echo 2014 Nr. 1

Dez. 1913 — Jan. 1914 Garantierte Auflage: 5000 Nummer 1

Das Jüdische Echo – Bayrische Blätter für die jüdischen Angelegenheiten

Erscheint monatlich.
Einzelnummer 15 Pfennig.
Redaktion:

Jüdisches Echo,
München-Solln, Erikastraße 6.

Anzeigen: 4spaltige Nonpareille¬
zeile 25 Pfennig.

Bei Wiederholung Rabatt.
Verlag und Expedition: München,
Müllerstraße 27. Tel. 8430.

Mitteilungen der Zionistischen Vereine Bayerns.
Geleitwort.

Der Zionistische Gruppenverband Bayerns will mit diesem Blatt in der jüdischen Bevölkerung neue Freunde werben. Denn es hat sich gezeigt, daß das wahre Wesen des Zionismus auch bei uns noch weiten Kreisen unbekannt ist. Seine Widersacher nehmen sich wenig Mühe, ihn an seinen Quellen, in einer selbst geschaffenen Literatur kennen zu lernen, vielmehr begnügen sie sich oftmals, ihre Information aus gegnerisch gesinnten Blättern zu beziehen, wodurch ein Berg von unbegründeten Vorurteilen und Mißverständnissen entsteht, den abzutragen wir für unsere Pflicht halten.

Nichts Jüdisches ist uns gleichgültig und fremd. Indem wir an der Zukunft des jüdischen Volkes arbeiten, ihm ein Heim schaffen wollen, wo es sich nach seiner Begabung, nach seinen besten Eigenschaften frei entwickeln kann, nehmen wir naturgemäß auch am jüdischen Leben der Gegenwart an den Stätten unseres Aufenthaltes den tiefsten Anteil.

Der Ansicht derer wollen wir entgegentreten, die da in Selbsttäuschung oder äußerem Wohlergehen glauben, daß wir es trotz allem Antisemitismus so herrlich weit gebracht. „Das Jüdische Echo“ will die Ueberzeugung verbreiten, daß unser gesamtes Wollen und jede unserer Handlungen aus dem elementaren Triebe der Selbsterhaltung heraus einzustellen ist unter dem Gesichtspunkt der dauernden Erhaltung und günstigeren Entwicklung des ganzen jüdischen Volkes.

Dazu bedarf es nicht nur der Einsicht in die Bedingungen unseres Lebens als Juden, sondern auch der Orientierung über die Ereignisse in unserer engeren Heimat wie in den Zentren, wo der Mehrheit unseres Volkes ein Daseinskampf aufgezwungen ist, der nicht seinesgleichen hat. Und nimmermehr werden wir unser eigen Schicksal von dem jener unglücklichen Brüder in und aus dem Osten, mit denen wir Zionisten uns eins fühlen, trennen können.

So wird sich dieses Blatt bemühen, seine Leser sowohl über die Begebenheiten in unseren Gemeinden wie über die Vorgänge im Reich und im Auslande zuverlässig zu unterrichten, wie es in gleicher Weise seine Aufmerksamkeit den Arbeiten und Aufgaben der großen und kleinen Vereinigungen zuwenden wird, die neben den Gotteshäusern zu Brennpunkten des jüdischen Lebens geworden sind.

Engherzigkeit sei uns fern. Ueberzeugt von der Notwendigkeit, daß die aufbauenden Elemente in unserer Gemeinschaft bei allem Unterschied in prinzipiellen Punkten doch von Fall zu Fall desselben Weges gehen müssen, werden wir die Spalten dieses Blattes gerne denen öffnen, die am Fortbestände des Judentums als eines wertvollen Teiles der Kultur mitarbeiten wollen. . , , , . . •

So soll unsere Zeitschrift, das Echo aller Vorgänge im mnerjudischen Leben und in der großen politischen Arena werden, die unsere Zeit und unsere Zukunft betreffen.

Der Vorstand des Zionistischen
Gruppenverbandes Bayerns.

Die Redaktion.

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Das jüdische Echo Nr. 1

„Den Zionismus habe ich einmal ein endloses Ideal genannt. Und ich glaube wirklich, daß er auch nach der Erlangung unseres Landes Palästina nicht aufhören wird, ein Ideal zu sein. Denn im Zionismus, wie ich ihn verstehe, ist nicht nur das Streben nach einer rechtlich gesicherten Scholle für unser armes Volk enthalten, sondern auch das Streben nach sittlicher und geistiger Vollendung.“
Aus Theodor Herzls „Reisesegen“, seiner letzten Kundgebung, geschrieben im März 1904.

Der Zionismus.

Von Max Nordau.

Messianismus und Zionismus. — Reiormjudentuhm. Reform*
ein Umweg zum Christentum.

Der Zionismus ist ein neues Wort für eine sehr alte Sache, soweit er bloß die Sehnsucht des jüdischen Volkes nach Zion ausdrückt. Seit der Zerstörung des zweiten Tempels durch Titus, seit der Zerstreuung des jüdischen Volkes in alle Länder hat dieses Volk nicht aufgehört, die Rückkehr in das verlorene Land der Väter heiß zu ersehnen und auf sie fest zu hoffen. Diese Zionssehnsucht und Zionshoffnung der Juden war der konkrete, ich möchte sagen der geographische Anblick ihres Messias-Glaubens, der seinerseits einen wesentlichen Bestandteil ihrer Religion ausmachte. Messianismus und Zionismus waren tatsächlich fast zwei Jahrtausende lang identische Begriffe, und ohne Spitzfindigkeit und Deutelei wird es nicht leicht sein, die Gebete um das Erscheinen des verheißenen Messias und die um die nicht minder verheißene Rückkehr in die geschichtliche Heimat in der jüdischen Liturgie auseinanderzuhalten. Diese Gebete waren bis vor wenigen Menschenaltern buchstäblich gemeint, wie sie es von den schlicht gläubigen Juden noch heute sind.

Die Juden wußten es nicht anders, als daß sie ein Volk seien, das zur Strafe für eigene Schuld sein angestammtes Land verloren hat, das als Fremdling in fremden Ländern zu leben verurteilt ist und dessen schwere Leiden erst aufhören werden, wenn es wieder auf dem geweihtem Boden des heiligen Landes versammelt sein wird.

Erst als gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts die Aufklärung, als deren erster Herold der Populärphilosoph Moses Mendelssohn bekannt ist, in das Judentum einzudringen begann, wurde dies anders. Der Glaube wurde lauer, die Gebildeten, soweit sie nicht ganz abfieien* begannen die Lehren ihrer Religion rationalistisch aufzufassen, für sie war die Zerstreuung des jüdischen Volkes eine endgültige und unabänderliche Tatsache, sie entleerten den Messias- und Zionsbegriff jedes konkreten Inhaltes und legten sich eine sonderbare Lehre zurecht, nach welcher das den Juden verheißene Zion nur in einem geistigen Sinne zu verstehen sei, als die Aufrichtung des jüdischen Monotheismus für die ganze Welt, als einstiger Triumph der jüdischen Ethik über die minder hohen und edlen Sittenlehren der anderen Völker.

Die Mendelssohnsche Aufklärung entwickelte sich folgerichtig in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur „Reform“, die bewußt mit dem Zionismus im jüdischen Glauben brach. Für den Reformjuden hat das Wort Zion ebensowenig einen Sinn als das Wort Zerstreuung. Er fühlt sich in keiner Diaspora. Er leugnet, daß es ein jüdisches Volk gibt und daß er dessen Mitglied ist. Er will nur dem Volke angehören, in dessen Mitte er lebt. Für ihn ist das Judentum ein rein religiöser Begriff, der mit Nationalität nicht das geringste gemein hat. Sein Geburtsland ist ihm sein Vaterland und ein anderes will er nicht kennen. Der Gedanke einer Rückkehr nach Palästina empört ihn oder reizt ihn zum Lachen. Er hält ihm den bekannten albernen Witz entgegen: „Wenn das jüdische Reich in Palästina wieder aufgerichtet werden sollte, so würde ich verlangen, sein Botschafter in Paris zu sein.“

Den denkenden Juden ist es auf die Dauer nicht entgangen, daß das Reformjudentum eine Halbheit ist, die wie jede Halbheit den Keim des Unterganges? in sich trägt, da sie einer logischen Kritik nicht einen Augenblick lang widersteht. Wen soll das Reformjudentum befriedigen? Den gläubigen Juden? Er stößt es mit dem tiefsten Abscheu von sich. Den ungläubigen? Er verabscheut es als eine Heuchelei und Phrasendrescherei. Den Juden, der wirklich mit seiner Volksvergangenheit brechen und in seiner christlichen Umgebung aufgehen will? Diesem Juden genügt das Reformjudentum nicht, er geht einen Schritt weiter, den Schritt, der zum Taufbecken führt. Noch weniger genügt es dem Juden, der das Judentum vor dem Untergänge bewahren, es als ethnische Individualität erhalten möchte. Denn ihm ist der ausdrückliche Verzicht auf alle nationale Hoffnung gleichbedeutend mit der Selbstverurteilung zum vielleicht langsamen, aber sicherem Tode des jüdischen Volkes.

Das Reformjudentum ohne Zionismus, das heißt ohne den Wunsch und die Hoffnung einer Wiedervereinigung des jüdischen Volkes, hat keine Zukunft. Es kann höchstens als ein etwas krummer Weg betrachtet werden, der ins Christentum hinüberführt. Wer an dieses Ziel gelangen will, der findet heute
geradere und kürzere Wege dazu.

II.

Die neuen Juden. — Die Etstehungsgründe des politischen Zionismus. — Der Nationalitätengedanke — Ist der Nationaljude Chauvinist? — Der Antisemitismus. — Der instinktive Gefühls-zionismus.

Und so ist den Geschlechtern, die unter dem Einfluß der Mendelssohnschen Schönrednerei und Aufklärung, der Reform und Assimilation standen, im letzten Fünftel des 19. Jahrhundertes ein neues Geschlecht gefolgt, das zur Zionsfrage eine andere als die traditionelle Stellung zu gewinnen sucht. Diese neuen Juden zucken die Achsel bei dem seit hundert Jahren in Schwang gekommenen Rabbiner- und Literatengeschwätz von einer „Mission des Judentums“, die darin bestehen soll, daß die Juden ewig unter den Völkern in der Zerstreuung leben müssen, um ihnen Lehrer und Vorbilder der Sittlichkeit zu sein und sie allmählich zu reinem Rationalismus, zur allgemeinen Menschenverbrüderung und zu einem idealen Kosmopolitismus zu erziehen.

Sie erklären diesen Missionsdünkel für eine Anmaßung oder für eine Torheit. Sie verlangen bescheidener und realistischer für das jüdische Volk nur das Recht, zu leben und sich seinen eigenen Anlagen gemäß bis zu den natürlichen Grenzen seines Typus zu entwickeln. Sie sind zur Erkenntnis gekommen, daß dies in der Zerstreuung nicht möglich ist, da unter diesen Verhältnissen Vorurteil, Haß, Verachtung sie immer verfolgen und bedrücken und entweder ihre Entwicklung hemmen oder sie zu einer ethnischen Mimicry nötigen werden, die aus ihnen statt daseinsberechtigter Originale mittelmäßige oder schlechte Kopien fremder Modelle machen wird.

Sie arbeiten deshalb planmäßig darauf hin, das jüdische Volk wieder zu einem normalen Volke zu machen, das auf eigener Scholle lebt und alle wirtschaftlichen, geistigen, sittlichen und politischen Funktionen eines gesitteten Volkes verrichtet.

Dieses Ziel ist nicht sofort zu erreichen. Es liegt in einer näheren oder ferneren Zukunft. Es ist ein Ideal, ein Wunsch, eine Hoffnung, wie es der messianische Zionismus war und ist. Der neue Zionismus, den man den politischen nennt, unterscheidet sich aber vom alten, religiösen, messianischen darin, daß er aller Mystik entsagt, sich nicht länger mit dem Messianismus identifiziert, die Rückkehr nach Palästina nicht von einem Wunder erwartet, sondern sie durch eigene Anstrengung vorbereiten will.

Der neue Zionismus ist nur zum Teil aus innerem Drängen des Judentums selbst hervorgewachsen, aus der Begeisterung modern gebildeter Juden für ihre Geschichte und Martyrologie, aus dem erwachten Bewußtsein ihrer Rassentüchtigkeit, aus ihrem Ehrgeiz, den uralten Stamm in eine möglichst ferne Zukunft hinüberzuretten und den Großtaten der Ahnen neue Großtaten der Nachkommen anzureihen; zum andern Teil ist er die Wirkung zweier Anregungen, die von außen gekommen sind: erstens des Nationalitätengedankens, der ein halbes Jahrhundert lang das europäische Denken und Fühlen beherrscht und die Weltpolitik bestimmt hat, zweitens des Antisemitismus, unter dem die Juden aller Länder mehr oder weniger zu leiden haben.

Der Nationalitätengedanke hat alle Völker zu Selbstbewußtsein erzogen, sie gelehrt, ihre Besonderheiten als Werte zu empfinden, und ihnen den leidenschaftlichen Wunsch nach Unabhängigkeit eingegeben. Er konnte auch an den gebildeten Juden nicht spurlos abgleiten. Er hielt sie an, sich auf sich slbst zu besinnen, sich wieder, was sie verlernt hatten, als besonderes Volk zu fühlen und für sich normale Volksgeschicke zu fordern. Erleichtert wurde ihnen diese nicht schmerzlose Arbeit der Wiederfindung ihrer Volksindividualität durch die Haltung der Völker, die sie als fremdes Element aus sich ausschieden und ohne Höflichkeit oder Schonung die wirklichen oder eingebildeten Gegensätze oder doch Unterschiede zwischen ihnen und den Juden hervorhoben.

Der Nationalitätengedanke hat in seinen Uebertreibungen zu Ausartungen geführt. Er ist zu Chauvinismus abgeirrt, zu einfältigem Freindenhaß versimpelt, zu grotesker Selbstvergötterung verdummt. Vor diesen Selbstkarikaturen ist der jüdische Nationalismus wohl sicher. Der jüdische
Nationalist leidet nicht an Ueberhebung; er fühlt im Gegenteil, daß er sich unablässig anstrengen muß, um den Namen Jude zu einem Ehrennamen zu machen. Er erkennt bescheiden die guten Eigenschaften anderer Völker an und sucht sie sich emsig anzueignen, soweit sie mit seinen natürlichen Anlagen harmonisieren. Er weiß, welche furchtbaren Schäden Jahrhunderte der Sklaverei und Rechtlosigkeit in seinem ursprünglich stolzen und aufrechten Charakter angerichtet haben, und er sucht sie mit intensiver Selbsterziehung zu heilen. Bewahrt der Nationalismus sich aber vor Verirrungen, so ist er eine natürliche Phase des Entwicklungsganges vom barbarisch selbstsüchtigen Individualismus zum freien Menschentum und Altruismus, eine Phase deren Berechtigung und Notwendigkeit nur leugnen kann, w^er gar kein Verständnis für die Gesetze der organischen Evolution und gar keinen geschichtlichen Sinn hat.

Der Antisemitismus hat gleichfalls viele gebildete Juden den Rückweg zu ihrem Volke finden gelehrt. Er hat die Wirkung einer scharfen Prüfung gehabt, welche die Schwachen nicht bestehen können, aus der aber die Starken stärker oder doch selbstbewußter hervorgehen. Es ist nicht richtig zu sagen, daß der Zionismus lediglich eine Trotzgebärde oder Verzweiflungstat gegen den Antisemitismus ist. Gewiß ist mancher gebildeter Jude nur durch den Antisemitismus zum Wiederanschluß an das Judentum gedrängt worden und er würde wieder abfallen, wenn seine christlichen Landleute ihn freundlich aufnehmen würden. Aber bei den meisten Zionisten war der Antisemitismus nur eine Nötigung, über ihr Verhältnis zu den Völkern nachzudenken, und ihr Nachdenken hat sie zu Ergebnissen geführt, die ihr dauernder Geistes- und Gemütsbesitz bleiben würden, auch wenn der Antisemitismus gänzlich aus der Welt verschwende.

Wohlverstanden: der bisher analysierte Zionismus ist derjenige der gebildeten und freien Juden, der jüdischen Elite. Die ungebildete, an alten Traditionen hängende Menge ist zionistisch ohne viel Nachdenken, aus Gefühl, aus Instinkt, aus Qual und Sehnsucht. Sie leidet zu hart unter der Not des Lebens, unter dem Haß der Völker, unter den gesetzlichen Beschränkungen und gesellschaftlichen Aechtungen. Sie fühlt, daß sie auf keine dauernde Besserung ihrer Lage zu hoffen hat, so lang sie als ohnmächtige Minderheit inmitten übelgesinnter Mehrheiten leben muß. Sie will ein Volk sein, sich in inniger Berührung mit der mütterlichen Erde verjüngen und Herrin ihres eigenen Schicksals werden. Diese zionistische Menge ist zum Teil nicht ganz frei von mystischen Tendenzen. Sie läßt in ihren Zionismus messianischc Reminiszenzen hineinspielen und durchsetzt ihn mit religiösen Emotionen. Sie ist sich wohl über das Ziel, die nationale Wiedervereinigung, nicht aber über die Wege klar. Doch hat auch sie schon die Notwendigkeit eigener Anstrengungen begriffen und es besteht ein ungeheurer Unterschied zwischen ihrer aktiven Organisationsbereitschaft und Opferwilligkeit und der gebetseligen Passivität des rein religiösen Messianisten.

Für die jüdische Volksschule.

Von Dr. Ludwig Wassermann.

Simon D i n g f e 1 d e r , den seine Schriften über die soziale Lage des israelitischen Lehrerstandes zum anerkannten Sachverständigen in
jüdischen Schulfragen gemacht haben, hat im Verein mit dem bekannten Schulmann Dr. S. Adler bei J. Kauffmann in Frankfurt a. M. eine
Broschüre erscheinen lassen, in welcher er die jüdische Volksschule in Süddeutschland einer eingehenden, sachgemäßen und gründlichen Behandlung unterzieht.

Uns interessieren speziell die bayerischen Verhältnisse. Diese sind geregelt im Judenedikt von 1813. dessen § 33 noch heute das Grundgesetz für
die jüdischen Volksschulen bildet. Hier heißt es:

„Den Juden ist bewilligt, eigene Schulen zu errichten, wenn sie vorschriftsmäßig gebildete und geprüfte Schullehrer anstelle«, welche königliche Untertanen sind und denen ein Unterhalt von wenigstens 300 fl. gesichert ist. Dieselben sind an den allgemeinen Lehrplan gehalten.

Besteht somit ein absolutes Recht auf die jüdische Volksschule, so stellt sich diesem Recht die Tatsache gegenüber, daß israelitische Lehrer
an christlichen Schulen — und das sind auch die Simultanschulen — nicht zugelassen werden. Das ist keine antisemitische Maßnahme, sondern
lediglich darin begründet, daß die bayerischen Volksschulen einen christlichen Charakter haben.

Ein billig denkender Mensch kann nicht verlangen, daß dabei auf die jüdischen Schüler Rücksicht genommen wird, wenn es den Juden gleichzeitig gestattet ist, eigene Volksschulen zu errichten.

Diese eigenen Volksschulen würden uns Juden wesentliche finanzielle Vorteile bringen. Hat nämlich eine Kultusgemeinde eine Schule errichtet, so brauchen ihre Mitglieder für die Schule der politischen Gemeinde keine Umlage zu zahlen. Das heißt, unterhielte z. B. Die israelitische Kultusgemeinde in München eine jüdische Volksschule, so würden die Münchner Juden eine wesentlich niedrigere Gemeindeumlage an die Stadt München zu entrichten haben und selbst die etwas erhöhte Kultusumlage könnte bei weitem nicht die Ersparnis aufwiegen, die jeder jüdische Gemeindebürger machen könnte. Nun sind ja diese finanziellen Vorteile eine recht angenehme Beigabe, aber sie dürfen selbstverständlich nicht zum ausschlaggebenden Faktor werden.

Wir können Dingfelder nur Recht geben, wenn er sagt: „Der Kampf um die Gleichberechtigung, der so energisch für die Zulassung zum Reserve-Offizier geführt wird, schweigt vor der Schultür, wenn es sich um das Recht der Juden in der Schule handelt, der er die Zukunft seines Stammes anvertraut.“

Die jüdische Religionsschule kann die Rüstung zum Kampf gegen Antisemitismus und I n d i f f e r e n t i s m u s bei der winzigen Zeit nicht
vornehmen, in der sie die Kinder zu ihrer Verfügung hat und in der sie die zunächst liegende Aufgabe. die Kenntnis unseres Schrifttums und unserer Religionsgeschichte erfüllen muß. Das kann allein die jüdische Volksschule.

Und nachdem sie Treue zum Judentum nach jeder Richtung hin lehren wird, wird sie auch dem Staat dienen. Denn wer in Treue erzogen ist. der wird ein besserer Staatsbürger sein, als diejenigen, denen das Neue, das Scheinende mehr gilt als Tradition. Der Kampf für Jie jüdische Volksschule ist der Kampf für unsere Existenz, der Kampf für das positive Judentum gegen die Lauen und die Gleichgültigen!

Der Ausbau des jüdischen Gemeindeprogramms.

Man sollte füglich ansnehmen, daß den Hütern der jüdischen Gemeinden und ihrer Einrichtungen dasselbe Ziel vorschwebte und die Mitarbeit dieser Elemente nur willkommen sein sollte. Aber weit gefehlt: die Entwicklung des deutschen Judentums im verflossenen Jahrhundert hat vielfach Männer an die Spitze unserer Gemeinwesen gebracht, die keinerlei jüdische Interessen haben oder uns für ein zum Untergang bestimmtes Volk halten, dessen Auflösung nicht aufzuhalten ist.

Sie wollen nicht einsehen, daß der politische Liberalismus, ihr einziger Lebensinhalt, immer mehr von den Juden abrückt, daß der Antisemitismus stets nur seine Formen wechselt und nicht durch einseitige Werbung verschwinden wird, daß die sogenannte Reform uns keineswegs die ersehnte Gleichberechtigung gebracht, sondern dem Judentum sittlich, sozial und geistig tiefe Wunden geschlagen hat, die nicht ohne operative Eingriffe verharmschen werden. Mehr noch! Sie sehen das von dem liberalen Regiment angestiftete Unheil und denken nicht an dessen Steuerung. Es ist heute sogar nicht zuviel gesagt, wenn wir einem Teil unserer Gemeindegrößen den Vorwurf machen, daß sie ihre eigenen Grundsätze verleugnen. Begeistern sie sich doch im allgemeinen politischen Leben mit der ganzen Kraft ihrer Seele für freiheitliche Grundsätze, für demokratische Einrichtungen, während sie im eigenen Hause eine reaktionäre Herrschaft führen und die Minderheiten nicht zu ihrem Rechte kommen lassen. Sie wollen nichts davon hören, daß die von ihnen heraufbeschworenen Anomalien geeignet sind, die Grundlagen des Judentums zu untergraben, weil sie einem reinen „Konfessionsjudentum“ huldigen, das sich im engsten Tätigkeitsfelde bald erschöpft. Sie sehen nicht ein, daß der Kosmopolitismus, dem sie Schrittmacherdienste leisten wollen, von unserer Umgebung schon längst überwunden ist, so zwar, daß wir Zionisten unseren christlichen Mitbürgern in nationalpolitischen Anschauungen weit näher stehen als sie. Sie wandeln, auf ihre Irrtiimer aufmerksam gemacht, auf dem bislang beschrittenen Wege weiter, unnachgiebig, unbelehrbar, unbekümmert um die Folgen.

Aber ihrem Wirken stellen sich doch äußere und innere Hindernisse von ungleich größerer Kraft entgegen. Sowohl die Tatsachen unserer Sonderheiten auf geistigem, seelischem, physischem, ja auch wirtschaftlichem Gebiete wie die in unserer Gemeinschaft erwachenden neuen Triebkräfte drängen zu einer gründlichen Selbstbesinnung.

Bisher besaßen wir kein Kompendium, das die Forderungen der zur Zeit noch einflußlosen, aber energiebeseelten Minorität der Zionisten an die
Gemeinden zusammenfaßte. Diese Lücke ist mit dem Erscheinen des von der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“. Berlin W. 15. herausgegebenen „J ü d i s c h e n G e m e i n d e j a h r b u c h e s 5674“ (8° 112 S. M. 1.—) geschlossen und alle können jetzt erfahren, was wir hierzulande von den jüdischen Gemeinden erwarten und verlangen.

Es gibt heute im jüdischen Gemeindeleben zwei voneinander scharf getrennte Gruppen, deren eine als zahlenmäßig größere ihre Macht an vielen Orten dazu mißbraucht, die andere numerisch schwächere vom Mitbestimmungsrecht auszuschließen. Die jetzt noch zur Ohnmacht verurteilte Minorität setzt sich aus den Zionisten und den Orthodoxen zusammen, soweit die letzteren keine Kompromisse eingegangen oder sich nicht separiert haben. Diese beiden fußen mehr und minder auf der Tradition und habn gemeinsam den Willen zur Erhaltung des Judentums.

Die Redaktion des Jahrbuches hat dafür gesorgt, daß die einzelnen Aufsätze in programmatischer Geschlossenheit alle Ansprüche behandeln, die eine ihrer Verantwortung bewußte Gmeinde zu erfüllen hat. In prägnanter Kürze erörtern bekannte und mit der Materie vertraute Zionisten die brennendsten Fragen des jüdischen Lebens in Deutschland, so daß sich jeder an der Gemeindearbeit interessierte Jude an diesem Büchlein orientieren kann. MaxKollenscher äußert sich über die Finanzwirtschaft der Gemeinden als eine Kunst, die verstanden sein will.

Victor bespricht das Verhältnis zu den Ausländern auf Grund der Judengesetze in den einzelnen Bundesstaaten: Ernst Kalmus nimmt zum Problem des jüdischen Schulwesens Stellung. Elias Straus zur Verhältniswahl, Felix Theilhaber befürwortet neuerdings eine weit ausgreifende Bevölkerungspolitik und Hans Goslar lenkt die Aufmerksamkeit auf ein noch unerschlossenes, aber äußerst fruchtbares Gebiet, auf die wirtschaftspolitischen Aufgaben der Gemeinden. Man ersieht daraus, daß der — mit diesen Angaben nicht vollständig wiedergegebene — Inhalt dieses wohlfeilen Büchleins nichts an Reichhaltigkeit und Aktualität zu wünschen übrig läßt.

Wollen wir die darin aufgestellten Forderungen zusammenfassen, so brauchen wir uns nur der Worte zu bedienen, die Gustav Witkowsky in seinem „Gemeindeprogramm“ sagt: „Getrieben durch die Not der Zeit, fordert dies neue Geschlecht, daß die Gemeinde nicht nur eine Verwaltungsmaschine sein soll, sondern in erster Reihe die Erhaltung und Förderung des Judentums als Ziel und Richtschnur für ihr Wirken anzusehen habe.“ Zu diesem Zweck gilt es, den Rabbinern eine von der Gemeindepräsentanz unabhängige Stellung zu verschaffen, die materielle Lage der Lehrer zu sichern, jüdische Schulen systematisch zu fördern und insbesondere in den Großgemeinden zu errichten, dem Hebräischen im Lehrpläne zu seinem vollen Rechte zu verhelfen, die Ausländer als unseresgleichen zu achten, die Verhältniswahl einzuführen, unseren Schicksalsgenossen im schweren wirtschaftlichen Kampfe durch Gründung von Kreditkassen, Genossenschaftsbanken usw. beizustehen, eine umfassende Volkshygiene zu üben, durch progressive Steuern den Gemeinden die Mittel zur Durchführung all dieser Aufgaben zu verschaffen, wie überhaupt diese unsere letzten Zufluchtsstätten und einzigen Hochburgen des jüdischen Volkes zum Brennpunkt des gesamten jüdischen Lebens selbst über die Gegenwart hinaus zu machen.

Und geht es nicht, daß auf friedlichem Wege ein neuer Geist in unsere Gemeindestuben einzieht, wird fürwahr darum ein Kampf entbrennen, wie er da und dort schon begonnen hat. Des endlichen Sieges sind wir nicht bange. Denn auf unserer Seite ist das bessere Recht, der unbeugsame Wille, der unerschütterliche Glaube an den Wert unserer Gemeinschaft.

Gemeinden-Echo.

Zur Ortskrankenkassen-Wahl in München.

J. F. Am 5. Dezember fanden die Wahlen der Arbeitgeber zur Ortskrankenkasse statt. Es hatten sich bei dieser Gelegenheit zwei Parteien gebildet,
und zwar eine „freie Vereinigung“ (Sozialdemokraten und freiheitlich bürgerliche Elemente) und eine sogenannte rein bürgerliche, welche eine Verbindung verschiedener Korporationen darstellte. Während in dem Aufruf der letzteren eine Anzahl tonangebender Vereinigungen unterzeichnet war, figurierte eine Partei, deren Häupter bei einigen dieser Vereinigungen Mitglieder sind, nämlich die christlich – soziale (antisfcmitscbe). als solche nicht unter den Unterzeichnern. Die Herren Antisemiten waren» zu klug, um s o zu unterschreiben. Dagegen waren fünf ihrer Anhänger als Kandidaten auf dieser Liste und ihr Führer, der einzige antisemitische Gemeindebevollmächtigte in München sogar als einer der ersten, sodaß er bei der Wahl, die bekanntlich Proportionen stattfindet, sicher gewählt werden mußte.

Man hätte nun glauben sollen, daß Juden auf einer solchen Vorschlagsliste nichts zu suchen hätten — weit gefehlt; sechs „deutsche Staatsbürger
jüdischen Glaubens“ hatten für diese Liste ihren Namen zur Verfügung gestellt. Bei zweien der Herren war auch die Bewerbung von Erfolg gekrönt und sie haben nun das Vergnügen, den Sieg mit den Antisemiten gemeinsam feiern zu können.

Und wenn nun in nächster Zeit auch hier wieder der „Zentralverein“ zum Kampf gegen den Antisemitismus auffordert, werden diese Herren als Rufer im Streite mit die ersten sein!

Ausländerfrage.
Eine Universitätsdebatte im Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses am 4. Dezember veranlaßte Minister v. Knilling zu folgender Erklärung: Die Unterrichtsverwaltung habe schon 1911, als die Zahl der Ausländer auf 393 gestiegen war, angeordnet, nur genügend vorgebildete Russen in München bis zu 200^ in Erlangen und Würzburg bis zur Höchstzahl von je 40 zuzulassen.

Eine Kommission habe die Ausländerfrage geregelt.
Durch Ministerialentscheidung vom Oktober 1913 wurde verlangt, einerseits gleiche Vorbildung wie bei einheimischen Studenten, andrerseits Beherrschung der deutschen Sprache. Die Höchstzahl der Fremden bei den medizinischen Fakultäten wurde festgelegt für München auf 50, für Würzburg und Erlangen auf je 50. Das Vorrecht der inländischen Studenten auf die Plätze wurde gesichert. K o – assistentenstellen sollen an Ausländer nur
übertragen werden; wenn geeignete heimatliche Bewerber nicht vorhanden sind. Die Gebühren für Ausländer wurden verdoppelt, für Oesterreicher, Schweizer und Luxemburger tritt eine Ermäßigung ein. „Mit dieser Regelung,“ meinte von Knilling, „habe man dem Ueberwuchern des Ausländertums Einhalt getan, ohne die Gastfreundschaft zu beeinträchtigen.“

München. Religionsunterricht.
Die israelitische Kultusgemeinde hat sich mit einer Eingabe an den Magistrat gewandt, es solle ein zweiter israelitischer Religionslehrer für die Erteilung des Religionsunterrichts an den Mitteln und Volksschulen angestellt oder ein Zuschuß von 3000 Mark gewährt werden. Nach den Mitteilungen des Referenten Rumpf haben im vorigen Schuljahre die Zuschüsse der Gemeinde für den Religionsunterricht der Katholiken 20,099 M„ der Protestanten 2736 M., der Freireligiösen Gemeinde 300 M. betragen. Der Magistrat hat dem Ansuchen auf Anstellung eines werteren israelitischen Religionslehrers nicht stattgegeben, sich aber bereit erklärt; der Kultusgemeinde einen Zuschuß von 2000 M. zu genehmigen. Auch das Gemeindekollegium stimmte mit allen Stimmen gegen jene der Sozialdemokraten der Bewilligung dieser 2000 M. zu.

— Die Verwaltung der israelitischen Kultusgemeinde hat dem orthodoxen Verein Obel Jakob fast einstimmig 2500 M. für Reparatur der Synagoge bewilligt.

* Die orthodoxe Religionsgesellschaft „O h e I Jako b“ läßt durch den Architekten Max Neumann eine Filialsynagoge an der Pettenkoferstraße bauen.

* Die Lodenfabrik Frey stellt prinzipiell „nur christliches Personal“ an. Die Rücksicht auf jüdische Kundschaft außer acht lassend, antwortete
sie sehr naiv auf einen Vorhalt: „Im Besitze Ihres Briefes bin ich über dessen Inhalt sehr überrascht, doch diene Ihnen zur Nachricht, daß ich Aufträge, gleichviel ob von Christen oder Israeliten, ohne Unterschied prompt und gewissenhaft ausführe. Was jedoch das Engagement meines Personals anbetrifft, so betrachte ich dies als ganz persönliche Sache und wird jeder Rechtdenkende in dieser Sache auch nichts einzuwenden haben. Hochachtungsvoll, Münchner Lodenfabrik, pp. loh. Qg. Fre y.“

Fürth. Religionsunterricht.
Die israelitische Kultusgemeinde hatte an den Magistrat eine Eingabe gemacht, in der sie um eine Entschädigung von 1800 M. pro Jahr für den Religionsunterricht ersuchte. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten wurde ein widerruflicher jährlicher Beitrag von 500 M. gewährt.

Vereins- und Versammlungs-Echo.

Nürnberger Brief.

Die diesjährige jüdische Saison wurde eröffnet mit dem Bericht des ersten Vorsitzenden und Kongreßdelegierten der zionistischen Ortsgruppe A. Singer über den 11. Zionistenkongreß. In einer zweiten Versammlung der zionistischen Ortsgruppe besprach Rechtsanwalt Stern besonders aktuelle Ereignisse,
soweit sie Juden betreffen und interessieren.

Der jüdische Jugendverein veranstaltete eine längst geplante Propaganda-Versammlung mit dem Vorsitzenden des Verbandes jüdischer Jugendvereine Dr. Apfel als Redner. Es traten Institutsdirektor Gombrich und Rabbiner Dr. Freudentha! als Sprecher der Kultusgemeinde, Rechtsanwalt Dr. S t r a u ß als stellvertretender Präsident der Loge auf. Die Versammlung leitete Dr. phil. G r ü n b a u m , dem es offenbar gelang, während seiner Tätigkeitsperiode als 1. Vorsitzender Interesse in denjenigen jüdischen Kreisen zu wecken, die seither dem Jugendverein apathisch gegenüberstanden.

Der Gemeindebibliotheksverein berief den Rabbiner Dr. Ziegler aus Karlsbad zu einem Vortrag über „Selbstwehr des Judentums“.

Einem Sendling der Gesellschaft für Judenmission, der in vier öffentlichen Vorträgen, die von Philosemitismus trieften, auf Bauernfang ausging, wurde von Mitgliedern verschiedener jüdischer Organisationen die Maske heruntergerissen.

Die Bemühung der zionistischen Ortsgruppe, eine große Kundgebung der Nürnberger Judenschaft gegen den Beilis-Prozeßhervorzurufen, war nicht erfolgreich. Es konnte dagegen in einer großen, von zionistischer Seite veranstalteten Protestversammlung eine zündende Resolution gegen jene Kulturschande zur einstimmigen Annahme geführt werden.

Die Vereinigung für die Interessen des liberalen Judentums trat mit Rabbiner Dr. Tänzer (Göppingen) auf den Plan. Während frühere Versammlungen
dieser Organisation debattelos zu verlaufen pflegten, kam es in dieser zu einem Rededuell zwischen Rabbiner Dr. Freudent h a 1 und Herrn G ö r s k y, der seinen orthodoxen und seinen zionistischen Standpunkt vertrat. Hierbei sei jedoch bemerkt, daß Dr. Freudenthai sowohl, wie Her Gombrich in der vorerwähnen Propaganda des Jugendvereins den Zionismus weit wohlwollender beurteilten, als dies in früheren öffentlichen Aeußerungen der Fall
gewesen ist.

Eine Neuschöpfung ist der jüdische T u r n – u n d S p o r t v e r e i n , der sich, wie wir gleich vorausschicken wollen, ebenso wie sein älterer Münchener Bruder, recht kräftig entwickelt. Es ist dies der schlagendste Beweis gegen die Berechtigung jener Unkenrufe, die den jungen Verein als überflüssig und schädlich bezeichneten. Er wurde aus der Erkenntnis heraus gegründet, daß auch in Nürnberg die jüdische Jugend der Leibesübung
vorher viel zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Der Hinweis seiner Gegner darauf, daß die allgemeinen hiesigen Turnvereine genügend viel Stätten für das Turnen böten, wird durch die feststehende Tatsache widerlegt, daß seitens der jüdischen Bevölkerung eben dort fast gar nicht geturnt wird! Der
jüdische Turnverein hingegen zählt seit seinem knapp zweimonatigen Bestehen bereits 45 aktive (Herren und Damen) und 25 passive Mitglieder!! Die Vereinsleitung (1. Vorstand Dr. med. Massenbacher, Turn wart Rechtspraktikant Kahn) ist vollkommen paritätisch, die turnerische Leitung liegt in den besten Händen (Turnlehrer Kretschmer). Paul Ordenstein.

München.
Die Pflege der jüdischen Jugendvereine in dieser und jener Form ist von jeher ein Hauptziel derer gewesen, denen, wie d-en Zionisten, die Erhaltung des Judentums die wichtigste Lebensaufgabe geworden ist. Von diesem Gesichtspunkt aus hat sich die zionistische Ortsgruppe auch an dem neugegründeten „neutralen“ Jüdischen Jugendverein beteiligt und Herrn Dr. Ludwig Wassermann in den Ausschuß dieser Organisation delegiert. Von unserer Seite hat es an ehrlicher Mitarbeit nicht gefehlt und es wird daran auch in der Zukunft nicht mangeln, wenn man uns nicht entgegen den in den Gründungssitzungen gemachten loyalen Zusicherungen die Möglichkeit hierzu nimmt. Int Jugendverein sprachen bisher Frl. Cora Berliner und Rabbiner Dr. Werner, welche Ziele und Zwecke der Organisation darlegten, Rechtsanwalt Dr. E. Straus, der von der Geschichte der Juden in München erzählte, und canJ. rer. pol. Maier, der über die Grundlagen des Antisemitismus referierte. Nicht immer folgten objektive Diskussionen diesen
Ausführungen, aber wir hoffen, daß in der Zukunft gerade der Jugendverein zum gegenseitigen Verständnis und damit auch zur Förderung eines wahrhaft jüdischen Idealismus beitragen wird.

Die antisemitische Strömung im Deutschen Wandervogel hat in München einen Jüdischen Wanderbund im B 1 a u – W e i ß Verband ins Leben gerufen. Dem Kuratorium gehören bis jetzt hervorragende Vertreter des konservativen Judentums in München und eine Anzahl Gesinnungsgenossen am. Es freut uns berichten zu können, daß diese Organisation sehr schön floriert und zu den besten Hoffnungen berechtigt.

Im jüdischen Turn- und Sportverein zu München wird jeden Dienstag (Damen) und Mittwoch (Herren) eifrig geturnt. Die glänzenden Lehrkräfte, insbesondere der Herren-Abteilung, haben die Frequenz merklich gehoben und es wird so auch in turmtechnischer Hinsicht ein wesentlicher Fortschritt zu verzeichnen sein. Am 18. Januar 1914 findet ein W i n t e r f e s t statt, das mit einem Schauturnen verknüpft sein wird.

Das jüdische Seminar, das die Vertiefung jüdischen Wissens bezweckt, hat seine Sitzungen am 4. Dezember begonnen. Zum Gegenstand seiner Tätigkeit sind R up p i n s ..Juden der Gegenwart“ genommen worden. Zeigt die Jugenderziehung in München somit eine starke Intensität, so können gerade die zionistischen Kreise Münchens mit einem gewissen Stolz sich in vielen Fällen als die Urheber der Veranstaltungen bezeichnen, welche dazu dienen sollen, das Judentum in der Jugend zu festigen und sie stark und stolz als Juden zu machen.

Dr. L. Wassermann.

*

(-) Die Münchner Vereinigung für das liberale Judentum hielt ihre Jahresversammlung ab, bei der Rechtsanwalt Dr. Karl Oestereich über den
Judentag in Hamburg referierte.

(-) In der Zionistischen Ortsgruppe München sprachen in diesem Winter bisher Rechtsanwalt Dr. Elias Straus über den 11. Zionistenkongreß in Wien, Frau Dr. med. Rahel Straus über „die jüdischem Organisationen“^ und Dr. phil. Max Mayer über „die Haskalah“.

(-) In München hat sich eine Ortsgruppe der „Agudas Israel“ konstituiert. In der Gründungsversammlung sprach Rabbiner Dr. Klein aus Nürnberg.

Neumarkt. Am ,5. und 6. Januar 1914 findet hier die Generalversammlung des Vereins der Kantoren und Kultusbeamten von Bayern statt.

Palästinensisches.

„N. J. K.“ In London ist soeben unter dem Titel „Common Sense in Foreign Policy“ ein aufsehenerregendes Buch von dem bekannten Sozialreformer und völkerrechtlichen Schriftsteller Sir Harry Johnston erschienen. Der Verfasser läßt die wichtigsten Probleme der internationalen Politik Revue passieren. Er ist der Ansicht, daß die vernünftigste Lösung des „syrischen Problems“ ein wirtschaftliches Protektorat Frankreichs über Nordsyrien wäre, das sich über Damaskus, die Libanonprovinz. Palmyra usw. erstrecken würde, während im Süden, in Judäa und Midian, im Sinne der zionistischen Bewegung ein jüdisches Gemeinwesen geschaffen werden sollte, in dem namentlich die unter unerträglichen Bedingungen lebenden osteuropäischen Juden eine gesicherte Heimstätte finden könnten.

Die hochbegabte jüdische Rasse würde sicherlich aus Palästina ein „Belgien des Ostens“ machen, und — führt Harry Johnston weiter aus — keine europäische Macht ist an der Bildung eines solchen „morgenländischen Belgiens“ mehr interessiert, als Großbritannien, namentlich im Hinblick auf das benachbarte Aegypten einerseits und die im Nordosten bis nach Indien hin sich erstreckende britische Einflußzone andererseits.

Eine amtliche deutsche Stimme über den Zionismus.
Die englischen und österreichischen Konsularberichte aus Palästina enthalten seit vielen Jahren in steigendem Maße Notizen über die jüdische Entwicklung im Lande, die ja auch auf die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse daselbst von erheblichem Einfluß ist. — Die deutschen Konsularämter haben erst zu allerletzt begonnen, ihre Wahrnehmungen in dieser Hinsicht zu veröffentlichen, obwohl die Deutsehsprachigkeit der großen Mehrzahl der ansässigen und einwandernden Juden gerade dem deutschen Handel am meisten Nutzen gebracht hat.

Der soeben erschienene neueste „Handelsbericht dies kaiserlichen Vizekonsuls in Jaffa für das Jahr 1912“ enthält eine Fülle informatorischen
Materials über die Bedeutung des jüdischen Elements in Palästina sowohl von allgemeinen wie von deutschen Gesichtspunkten aus.

Auf die Schädigung des Handelsverkehrs durch die politischen Wirren des Vorjahres eingehend, sagt der Bericht:

„Der Ausfall wäre noch bedeutend größer gewesen, wenn nicht an der wirtschaftlichen Durchdringung Palästinas ein ideeller Faktor mitarbeitete in Gestalt des Zionismus.

Der Aufschwung, den unter zionistischer Propaganda die Landwirtschaft nimmt, befruchtet das gesamte Wirtschaftsleben, indem der Bedarf an landwirtschaftlichen Geräten, an Düngemitteln, Baumaterialien und anderen Artikeln die Einfuhr Ziffer erhöht und verschiedene Handel- und
Gewerbetreibende beschäftigt werden. So nimmt auch die jüdische Bevölkerung in den Städten zu und Jaffa besitzt ein ganz neues jüdisches Viertel namens Tel Aviv, dessen saubere Anlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der jüdischen Einwanderer alle Ehre macht.“

Gegen Schluß des Berichtes heißt es:

„Die jüdische Einwanderung, der die Regierung jetzt anscheinend mit weniger Mißtrauen als bisher gegenübersteht, führt dem Lande von Jahr zu Jahr neue wirtschaftliche Kräfte zu.

Der deutschen Ausfuhrindustrie kann nur empfohlen werden, der zionistischen Bewegung ihre dauernde Aufmerksamkeit zu schenken.

Das zionistische Zentral organ, „Die Welt“, erscheint wöchentlich einmal, und zwar in deutscher Sprache; Sitz der Redaktion ist Berlin. Für deutsche Geschäftsleute, die mit hiesigen Juden Verbindungen anknüpfen wollen, eignet es sich als Insertionsblatt“.

Konzessionsverlängerung der Bahngesellschaft Jaffa—Jerusalem und Hafenbau Jaffas.
Nach einer Meldung der in Jaffa erscheinenden arabischen Zeitung „Palestine“ vom 24. September ist die nach dem bisherigen Vertrag im Jahre 1918
ablaufende Konzession der Bahngesellschaft Jaffa-Jerusalem verlängert und die Genehmigung zur Anlage eines Hafens in Jaffa einer Gesellschaft
übertragen worden, an deren Spitze der zurzeit in Frankreich auf Urlaub befindliche Leiter der gerannten Bahngesellschaft steht.

Die jüdischen Kolonie n bei Jaffa bedürfen dringend besserer Verkehrswege, und es scheint, daß eine Zweigbahn so gedacht ist. daß sie von der 20 km östlich Jaffas gelegenen Station Lydda in nordöstlicher Richtung an den deutschen Dörfern Sarona und Wilheltna und der großen jüdischen Kolonie Pethach-Tikwah vorbei nach der reichen Araberstadt Nablus führt, die sonach mit ihrem reichen Güterverkehr, namentlich dem Seifenexport, dem wirtschaftlichen Einfluß Jaffas erhalten bleiben würde, anstatt, wie es in letzter Zeit schien, durch Anschluß an die Hedschasbahn in die Einflußzone Haifas gezogen zu werden. Ferner würde vermutlich Lydda oder die 3 km weiter landeinwärts belegene Station Ramien der Ausgangspunkt einer Zweigbahn sein, die die südlich und östlich des jetzigen Bahnkörpers belegenen jüdischen Kolonien bedienen und nach der als ein Zentrum des Gerstenhandels wichtigen Stadt Gaza ihre natürliche Fortsetzung finden würde. ~

Der geplärrte Hafenbau nimmt den Jaffaer Geschäftsleuten auch eine große Besorgnis hinsichtlich des Touristenverkehrs.

Auch sonst kann der durch den Hafens und Bahnbau zu erwartende wirtschaftliche Aufschwung dem Konsulatsbezirk nur zustatten kommen. Die Erleichterung des Verkehrs wird eine schnellere und sichere Verwertung der BodenProdukte (namentlich der Orangen, deren Absatz bisher unter den schlechten Verschiffungsmöglichkeiten vielfach leidet) ermöglichen und Hand in Hand mit der zu erwartenden allgemeinen Prosperität den Wert der Ansiedelungen steigern.

(Bericht des Kaiser). Vizekonsulats in Jaffa.)
Anerkennung des Jaffaer Hebräischen Gymnasiums.

Von einigen großen westeuropäischen Universitäten (Berlin, W^ien, Paris) ist auf Anfrage die schriftliche Erklärung eingegangen, daß sie das
Reifezeugnis des ersten hebräischen Gymnasiums in Jaffa als vollgültig anerkennen. An anderen westeuropäischen Universitäten sind bereits Absolventen des Hebräischen Gymnasiums immatrikuliert. Interessant ist, daß die Universität in Genf einen Schüler des Jaffaer Gymnasiums, der nur die Prüfung der siebenten Klasse (Unterprima) bestanden hat, mit der Bedingung immatrikulierte, daß er sich verpflichte, im Laufe der nächsten Jahre das Abiturientenexamen am Jaffaer Gymnasium zu bestehen.

Notizen.

Die Anziehungskraft der Zionistenkongresse erhellt die amtliche Feststellung, daß zu den im September stattfindenden Tagungen sich in Wien
einfanden, 150 Teilnehmer zum Internationalen Statistischen Kongreß. 300 zum Kongreß tür Rettungswesen, 5000 zur Tagung der Ärzte und Naturforscher, 9000 zum XI. Zionistenkongreß.

Für den Jüdischen Nationalfonds liefen im 3. Quartal 1913 an Spenden ein aus: Nürnberg 275.52 Mark, München 204.03 Mark, Regensburg 72.05 Mark. Kronach 30.— Mark. W’ürzburg 19.27 Mark. Kissingen 18.65 Mark, Erlangen 13.50 Mark. Ichenhatisen 10— Mark und unter 10 Mark aus Bamberg, Burgkundstadt, Gunzenhausen. Kitzingen, Ludwigshafen, Waidhaus.

Zionistische Stammtische.

München. Jeden Donnerstag von 9 Uhr abends im Cafe Luitpold.

Nürnberg-Fürth. Jeden Donnerstag, abends 9 Uhr im Cafe Central.

München.
Die Mitglieder der Verbindung „J o r J a n i a“ im K. Z. V. treffen sich jeden Nachmittag nach 2 Uhr im Cafe Parade.

Literarisches Echo.

* In zwei Novembernummern der Münchener Wochenschrift „März“ hielt Stefan Großmann eine „Grabrede auf den Zionismus“, der mit einer Erwiderung von Julius Simon, betitelt „vom Cafe Parade Erstklassiges = Cafe = Ludwig- straße 14

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