Schweine-Grippe

Freitag, 24. April 2009, 13:34 Uhr: Am LGL in Oberschleißheim ging eine als dringend markierte E-Mail des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin ein: „In den USA sind akut Fälle von Schweine-Influenza A/H1N1 beim Menschen entdeckt worden. Allein in Mexiko City wird von 800 erkrankten Personen berichtet, wovon circa 60 Personen starben (Letalität = 7 %). Bei der WHO tritt heute oder morgen das IHR Emergency Committee zusammen, das die Lage und entsprechende Sofortmaßnahmen beraten wird.“

Die zuständigen Stellen in Bayern handelten unverzüglich: Die Task Force Infektiologie am LGL informierte noch am selben Tag über die Regierungen alle 76 Gesundheitsämter und der Krisenstab des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit (StMUG) wurde aktiviert. Am 11. Juni 2009 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der sogenannten Stufe 6 zum ersten Mal seit 1968/69 eine weltweite Pandemie aus. Damit stand der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) mit seinen verschiedenen Handlungsebenen im Vollzug – Gesundheitsministerium, Regierungen, Gesundheitsämter – und mit ihm das LGL als zentrale bayerische Fachbehörde für Gesundheit vor einer großen Herausforderung.

IfSG-Meldestelle: Übersicht über die epidemiologische Lage und Strategieentwicklung

Influenzaerkrankungen mit labordiagnostischem Nachweis sind nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) für Labore meldepflichtig. Bereits am 30. April 2009 wurde diese Meldepflicht per Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums auf behandelnde Ärzte erweitert. So konnten zeitnah Informationen zu Verdachtsfällen, Erkrankungen und Todesfällen der pandemischen Influenza (H1N1) übermittelt werden. In Abstimmung mit allen zuständigen Landesstellen entwickelte das RKI in Berlin Falldefinitionen für die pandemische Influenza (H1N1) 2009. Diese wurden im Verlauf der Pandemie mehrfach dem aktuellen Kenntnis- und Sachstand angepasst. So war es beispielsweise zu Beginn der Pandemie von Bedeutung, ob sich ein Erkrankungsverdächtiger kurz zuvor in einem Land mit hohem Übertragungsrisiko (wie USA oder Mexiko) aufgehalten hatte.

Nachdem auch in Deutschland die im eigenen Land erworbenen Erkrankungsfälle zugenommen hatten, rückte die gesicherte Labordiagnostik stärker in den Vordergrund. Die Entwicklung des Virus wurde genauestens beobachtet, um davon ausgelöste mögliche Veränderungen der Krankheitsschwere rasch erkennen zu können.

Meldeweg: Von den Gesundheitsämtern zur LGL-Meldestelle

Das örtlich zuständige Gesundheitsamt prüfte die gemeldeten Fälle gemäß den aktuellen Falldefinitionen und ermittelte weitere wichtige Details zur Beurteilung der infektiologischen Lage und der zu treffenden Maßnahmen (zum Beispiel vorhandene oder veranlasste Laborbefunde, Krankenhausaufenthalte, Therapien, Komplikationen, Risikofaktoren). Diese Daten übermittelten die Vor-Ort-Behörden umgehend elektronisch an die Landesstelle für meldepflichtige Infektionskrankheiten am LGL. Alle Fallmeldungen leiteten die LGL-Experten unverzüglich mit eventuell notwendigen Zusatzinformationen zum Erkrankungsfall an das RKI weiter. Das LGL beriet die Gesundheitsämter zudem intensiv zu Fragen der diagnostischen Klärung von Verdachtsfällen sowie der zu treffenden Maßnahmen bei Erkrankten und deren Kontaktpersonen. Zur Information des StMUG und der Gesundheitsbehörden erstellte die Meldestelle am LGL anfangs täglich, später werktäglich und ab Ende November wöchentlich Lageberichte zur pandemischen Influenza (H1N1). Auf der LGL-Homepage (www.lgl.bayern.de) berichtete die Fachbehörde tagesaktuell über die Fallzahlen.

Aufgrund der rasanten Zunahme der täglichen Meldungen änderte das Bundesgesundheitsministerium am 14. November 2009 die Verordnung über die Meldepflicht in Deutschland bei der pandemischen Influenza (H1N1). Seit diesem Zeitpunkt waren Verdachtsfälle nicht mehr meldepflichtig. Gemeldet wurden seither nur mehr laborbestätigte Fälle durch das Labor und Todesfälle durch den behandelnden Arzt. Darüber hinaus wurde das Krankheitsgeschehen über Sentinel-Systeme des RKI und des LGL überwacht. Bis zum Jahresende 2009 wurden dem LGL 42.931 Fälle an pandemischen Influenza (H1N1) übermittelt, davon 21 Todesfälle (vergleiche Abbildung 1). Die Epidemiologen prüften die Daten unverzüglich nach Eingang auf Vollständigkeit und Plausibilität, werteten diese aus, meldeten sie an die bundesweite Meldestelle am RKI weiter und veröffentlichten sie anschließend in aggregierter und anonymisierter Form auf der LGL-Meldedatenseite. Gleichzeitig nahm das LGL in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium Lagebewertungen vor und entwickelte und bewertete mögliche Handlungsoptionen.

Impfen: Eine fachliche, logistische, finanzielle und kommunikative Herausforderung

Impfungen sind die wirksamste Maßnahme zum Schutz vor Infektionskrankheiten. Im Falle einer Pandemie hat daher ein möglichst rasches Impfangebot gegen den neuen Erreger und dessen Akzeptanz in den Zielgruppen hohe Priorität, um eine weitere Ausbreitung sowie weitere schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle zu vermeiden.

Schon im Jahr 2007 haben daher die Länder einen Vertrag über den Kauf von Pandemieimpfstoff für einen Teil der Bevölkerung geschlossen. Um rasch im Falle einer Influenzapandemie reagieren zu können, wurde ein Musterimpfstoff entwickelt, der zur Verstärkung der körpereigenen Immunantwort und zur Einsparung von Antigenmenge einen Wirkverstärker (Adjuvans) enthält. Dieser Musterimpfstoff hat nach eingehenden klinischen Prüfungen eine Zulassung der EU-Kommission erhalten.

Nach Ausbruch der aktuellen Pandemie im April 2009 wurde eine Stammanpassung des Musterimpfstoffes mit dem pandemischen Influenzavirus (H1N1) durchgeführt. Die Länder haben im Juli 2009 bei der Firma GlaxoSmithKline (GSK) 50 Millionen Impfstoffdosen bestellt. Eine endgültige Zulassung dieses Pandemieimpstoffes durch die European Medicines Agency wurde Ende September 2009 erteilt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat auf der Basis der zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen am 12. Oktober 2009 eine Empfehlung zum Einsatz von Pandemieimpfstoffen gegen das pandemische Influenzavirus (H1N1) ausgesprochen. Vorrangig stand der Pandemieimpfstoff unter anderem für Beschäftigte im Gesundheitsdienst und Personen mit chronischen Grunderkrankungen zur Verfügung.
Für die Umsetzung dieser Empfehlungen wurde vom StMUG in Abstimmung mit dem LGL, Ärzte- und Apothekerverbänden, der Bayerischen Landesapothekenkammer und weiteren Experten zeitnah ein effektives Impfkonzept für Bayern erarbeitet. Einen wichtigen Beitrag und fachliche Beratung leistete hierzu die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft Impfen (LAGI), deren Geschäftsstelle sich am LGL befindet.

Die LAGI ist eine industrieunabhängige Vereinigung von Ärzteverbänden, Apothekern, dem ÖGD, Krankenkassen und Wissenschaftlern einschließlich aller bayerischen Mitglieder der STIKO. Bei ihrer Sitzung am 14. Oktober 2009 wurden von den Fachexperten die aktuellen Pandemieimpfstudien und das Bayerische Impfkonzept vorgestellt und diskutiert. Die STIKO hat im Dezember 2009 ihre Impfempfehlungen erweitert.